Dein Hund ist ein mieser Verräter
Can’t Take My Eyes Off of You (Frankie Valli)
Eine vorher nicht bedachte Nebenwirkung dieses Zusammenpickens-wie-die-Kletten ist, dass ich inzwischen keinen unbeaufsichtigten Schritt mehr machen kann. Ich dachte schon, verheiratet zu sein wäre strange („Wen rufst du gerade an? Wohin gehst du? Woran denkst du gerade?“) oder Vater zu sein („Nein, darfst du nicht“ – Warum? – Weil ich es sage! – Warum?“), aber einen Hund zu haben, ist nochmal eine Steigerung. Keinen einzigen Schritt kann ich tun, ohne dass Ella meint „Da komme ich mit, ist sicher wichtig!“
Vielleicht kennt sie mich aber auch nur schon so gut, dass sie weiß, dass für sie immer etwas abfällt. Zumindest, wenn es in Richtung Küche geht. Tatsächlich verhält es sich mit unserer Küche genauso wie früher mit dem antiken Rom: dahin führten bekanntlich auch alle Wege. In unserem Haus enden letztlich auch alle Wege in der Küche. Dort läuft alles zusammen, vor allem das Wasser im Munde. Schon clever gemacht vom Architekten. Sichert letztlich das Überleben! Sollte ich also mal tot aufgefunden werden, ist eines sicher: verhungert und verdurstet bin ich nicht. Spart bei der Autopsie schon mal Zeit
Erst jetzt fällt mir auf, dass man auf dem Weg in die Küche auch immer an einem Klo vorbeikommt. Hm, welcher tiefe Sinn verbirgt sich wohl dahinter? Vielleicht der, im Körper erstmal Platz zu schaffen, bevor man den Kühlschrank plündert? Aber ich schweife ab – zurück zum Thema und zu Ella.
Herrchen liebt Eis. Auch, nein, gerade spätabends. Wenn alle anderen schon schlafen, vor allem die Kalorienzähler. Wenn man ohne vorwurfsvolle Blicke den Eis-Portionierer ungehemmt im Akkord schaffen lassen kann. Anschließend noch einen alten Hitchcock-Film eingelegt – Herz, was willst du mehr? Leider ist mein Hund ein mieser Verräter. Das kommt so: Die Gefrierschublade der Kühlkombi klemmt. Wegen der Kälte. Im Kaufhaus, wo man das Teil vorher gründlich getestet hatte, war das noch kein Problem. Lief alles wie geschmiert. Aber in der täglichen Praxis erzeugt die Schublade beim Öffnen und Schließen ein lautes Schabgeräusch, dass einem durch Mark und Pfennig geht. Weckt sozusagen Tote auf. Wobei es mir egal wäre, wenn dadurch herbeigelockte Zombies oder andere Untote etwas abhaben wollten – ich teile gerne! Aber das Geräusch nervt Ella. Wenn Sie es hört, schlägt sie Alarm, was umgehend das SEK auf den Plan ruft – SEK steht für ›Schnelle Eingreiftruppe Kalorien‹. Kurz danach erscheinen Mutter und Tochter im Türrahmen und fragen mit vorwurfsvollem Blick, ob ich nicht verkündet hätte, abnehmen zu wollen! Ich hasse derlei rethorische Fragen! Klingt wie: »Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?« – »Aber sicher, du Schrat! Damit du mir diese dämliche Frage stellen kannst!« Nein, beruhig dich, Wachtmeister, das denke ich nur, das sage ich doch nicht. Und wenn doch, dann murmle ich das nur. Ganz leise.
Nachdem der Versuch, das knarzende Geräusch mit WD40 zu mildern und auch das Stöbern nach einer Lösung im Web erfolglos blieben, wurde mir klar, dass ein neues Kühlgerät her muss. Das ist leichter gesagt als in einem schwäbischen Haushalt durchgesetzt! Außerdem bin sonst ich derjenige, der sich mit Händen und Füßen gegen jede Form von Verschwenderitis sperrt. Zum Beispiel, wenn Frau und Tochter wieder mal Liebhaberstücke von mir entsorgen wollen – an dieser Stelle muss es mir gestattet sein nachzufragen, nach welcher Logik kleinste Löcher in meinen T-Shirts und Jeans ein ›No-Go‹ sind, übelste Risse in fabrikneuer Kleidung meiner Tochter hingegen ›voll cool‹. Wenn also gerade ich den Sparfuchs mime, wie erkläre ich dann glaubwürdig, dass das immer noch funktionierende Möbel gegen ein neues ausgetauscht werden muss? Mir ist klar, dass für diese Zusatzausgabe ein besserer Grund nötig ist als eine knarzende Schublade. Damit ein neues Gerät mit einem garantiert lautlos zugänglichen Eisfach angeschafft werden kann, muss ein technischer Mangel her – echt oder getürkt! Ups, darf man das eigentlich noch sagen? Was soll’s! Irgendwas muss also an unserem Kühlteil vorgeblich defekt sein. Es muss ja kein richtiger Schaden sein, reicht ja schon, wenn die Kühlung für einen Tag ausfällt. Eine geschickte Manipulation bei den Einstellungen und … Gottseidank lesen Frauen keine technischen Manuale. Da hapert’s meist schon bei der Handhabung von Fernbedienungen. Ich sollte halt vorher genügend Kartons und Isoliermaterial bunkern. Wegen dem Zwischenlagern von verderblichen Waren aus der Gefriere. Yep, so mach ich das. Läuft!
Ich informiere mich (natürlich ohne Frauen) schon mal in einem örtlichen Elektromarkt. Eine Vorort-Recherche ist bei dieser Aktion unerlässlich – gugeln geht nicht, von wegen Browserverlauf! Wäre ja zu blöd, wenn jemand, sagen wir mal, ›Eiscreme‹ eingibt und Google gleich petzen würde „Männer, die nach Eiscreme suchen, haben sich auch über Kühlkombinationen ohne knarzendes Eisfach informiert“ – ne ne ne, nich‘ mit mir!
„Ab welchen Minusgraden“ frage ich den Fachverkäufer, „ab welchen Minusgraden machen bei dem Gerät hier die Schubfächer Probleme?“ – „Probleme“ will der Fachmann wissen, „Was’n für Probleme?“ – „Na ja, ich habe da ein Exemplar, welches das ganze Haus aufweckt, wenn man abends mal was rausholt! Die Gefrierschublage macht Geräusche wie Kreide auf ’ner Schiefertafel.“ – „Verstehe,“ sagt der Mann, „aber neue Gerät haben inzwischen spezielle Lager, da gibt es das nicht mehr.“
Klar, denke ich, Kühlgeräte-Entwickler haben auch Frauen. Der Fachmann geht die Broschüre holen.
„Was machst’n du hier?“, begrüßt mich eine bekannte Stimme. Sie gehört meinem Freund. „Kühlschrank testen.“ – „Mönsch, so’n Zufall – kannst meinen haben! Noch fast neu! Und günstig. Ein richtiges Schnäppchen!“ schlägt der Freund vor.
„Wenn der noch fast neu ist, warum behältst du ihn nicht einfach?“ will ich wissen. Der inzwischen zurückgekehrte Fachmann enthebt ihm einer Antwort: „Ach, gut dass Sie vorbeikommen!“ wendet er sich meinen Freund zu. „Ich habe mit dem Hersteller gesprochen, aber eine knarzende Schublade ist leider kein Mangel, der zum Umtausch berechtigt. Tut mir wirklich leid!“
Ich schaue meinem Freund tief in die Augen, dann drehe ich mich zum Verkäufer. „Sagen Sie mal,“ beginne ich, „wenn wir zwei Kühlkombis mit garantiert nicht knarzenden Schubfächern nehmen – da ließe sich doch sicher was am Preis machen, oder?“
Die Augen meines Freunds leuchten auf: „Und die anderen Teile spenden wir einfach einer garantiert frauenfreien Hilfsorganisation – ›Men’s Health‹ oder so!“
So machen wir es. Wir versichern uns der Hilfe eines kühltechnischen Unternehmens wegen einer Zwischenlagerung unserer Lebensmittel und ordern zwei Kühlschränke inklusive „garantiert nicht knarzenden“ Gefrierteilen. Anschließend planen wir die technischen Manipulationen. Am nächsten Tag stelle mich ostentativ vor unser Gerät und betrachte es lange mit schrägem Kopf. Was denn sei, will Heike wissen. Der Kühlschrank mache Geräusche. Sie könne nichts hören, sagt sie, nicht ohne hinzuzufügen: „Auf alle Fälle weniger als du nachts.“ Ha! Ha-ha ha!
„Ich meine auch, der kühlt nicht richtig“, folge ich weiter meiner Marschroute. Da sei dann wohl leider ein neuer fällig. Es sei schon ein elendiges Pech, füge ich hinzu, typisch Murphy eben – was schief gehen könne, würde auch schief gehen. Heike schlägt vor, dass sich eine Fachkraft die Sache mal ansehen sollte.
„Wo willst du denn um die Uhrzeit einen Fachmann herbekommen?“ frage ich selbstsicher.
„Fachkraft, habe ich gesagt, nicht Fachmann. Eines der Girls unserer Tochter ist Technikerin. Die Mädels chillen gerade unten.“
Klar kümmere sie sich gerne darum, freut sich die Spezialistin. Schön, dass sie ihr Wissen endlich mal an einem richtigen Problem ausleben könne. In Nullkommanix hat sie die Schwachstelle gefunden und behoben. Mein wasserdichter Plan leckt nun wie ein Schwamm. Morgen soll das neue Teil kommen und jetzt das. Aber Murphy hat noch ein As im Ärmel: Heikes Handy klingelt. Die Frau meines Freunds ist dran: „Stell dir vor“ tönt es aus dem Hörer, „gerade hat unser Kühl-/Gefrierschrank seinen Geist aufgegeben! Jetzt taut doch alles auf! Was soll ich jetzt nur tun? Kannst du was in deinen unterbringen?“
Heike wirft mir einen langen, wissenden Blick zu. Sie solle sich da mal keine Sorgen machen, beruhigt Heike die Freundin, sie hätte gerade eine Spezialistin zur Hand. Die würde das Problem in ›Nullkommanix‹ lösen!
„Meinst du wirklich?“, zweifelt die Freundin zaghaft.
„Darauf kannst du den A*** verwetten! Und damit meine ich nicht deinen Körperteil …“ – – –
Mein Kumpel und ich sollten schnellsten überlegen, wie wir unsere Käufe rückgängig machen können. Ich bin da guten Mutes, schließlich sind auch Verkäufer verheiratet. Ich hoffe da auf eine gewisse Solidarität unter Versklavten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt …
P.S. Falls jemand ein probates Mittel gegen knarzende Gefrierschubladen weiß, bitte schreibt mir!