Aufklärungsunterricht (1)
April 2011 –
Katz und Kater in ihrem Lauf,
halten weder Mann noch Memme auf!
Das musste ja so kommen! Vor unserer Haustüre lungern rudelweise Kater herum: junge, alte, verlauste, geschniegelte, wilde und ja, man sollte es nicht glauben – sogar kastrierte! Und alle lauern sie darauf, dass das Objekt ihrer Begierde den sicheren Hort des Hauses verlassen möge!
Vor einem halben Jahr hatten wir Flavias siebenjährigen, flehenden »Büddebüddebüdde«-Kinderaugen nachgegeben und ein drei Monate altes Kätzchen aus dem Familienurlaub im Salzkammergut mitgebracht. Eigentlich wollten wir so kurz nach Luzis Tod keine neue Katze, aber nun war es halt mal so.
Mit der Sterilisation wollten wir warten, bis … bis … – nie im Leben hatten wir es für möglich gehalten, dass ein winziges Kätzchen schon so läufig sein kann und dass es sich schamlos jedwedem dahergelaufenen Kater hingibt! Linchen, Flavias gerade einmal neun Monate alte, ach was, blutjunge Katze, fängt an, sich herumzutreiben und ihre zahlreichen Dates verkünden den Grund ihres Kommens in unzweideutiger Weise, weil ungeniert laut schreiend vor unserer Tür.
»Papa, was wollen all die Kater hier bei uns? Die sollen sich gefälligst verpi…!«
Tja, irgendjemand sollte ihr wohl einmal grundsätzlich die Sachlage erläutern. War schließlich absehbar, dass man Flavia nicht ewig mit der unbefleckten »Baby-aus-dem-Bauch«-Geschichte würde abspeisen können. In Gedanken hatte ich mich schon darauf vorbereitet, allerdings war meine Aufklärungsplanung auf einen späteren Zeitpunkt und dann auch eher auf Bienen und Staubgefäße ausgerichtet.
Wegen des Gossenjargons kassiere ich von Flavia die obligatorische Strafe von fünfzig Cents. Das verschafft mir Zeit zum Überlegen, wie man Linchens erblühte Katzensexualität kindgerecht aufbereiten kann. Bei Professor Grzimecks »Platz für Tiere« wurde so was ja noch schamhaft umgangen – vielleicht eher so sachlich wie seinerzeit Horst Stern (»Sterns Stunde«, ARD 1970-79). Mal überlegen, hmmm: »Bemerkungen über eine Europäisch-Kurzhaar-Lolita«?
Linchen hat inzwischen den nächstbesten Galan erhört und bietet sich ihm unterwürfig zur Paarung an. Dass sie das völlig ungeniert vor den Augen unserer Achtjährigen tut, schockiert mich nicht wenig. Ein wenig mehr Diskretion hätte ich da schon er… – na warte, spiel du nochmal die Unschuld vom Lande!
»Was macht Linchen da mit der anderen Katze?«, will Flavia wissen. Heike, die sich mittlerweile zu uns gesellt hat, sieht mich heiter an. Nein, eigentlich grient sie so unverhohlen in sich hinein, dass ihr die Schadenfreude schon hell durch die Rippen scheint. »Nu mach man schön«, zwinkert sie mir zu und tritt unauffällig beiseite. Schönen Dank auch, denke ich erbittert!
»Schau, Flavia,« suche ich gedehnt nach einem Anfang, »ich muss dir da, glaube ich, etwas erklären! Nämlich, wie Katzen kleine Katzenbabies machen. Oder – möchtest du vielleicht, Schatz?« versuche ich, Heike doch noch mit einzubeziehen. Aber die lehnt dankend ab. Steht in sicherer Entfernung da, als ginge sie die ganze Sache nichts an, lauscht unbeteiligt und feixt. Trittbrettfahrerin, denke ich grimmig.
Auch mein Sidekick-Versuch »Flavia, vielleicht sollten wir wirklich die Mama fragen, die ist doch auch ein Weibchen!«, geht ins Leere. »Nö, Papa, du kannst doch immer so gut erklären.« Meine Tochter hat bereits diese typisch weibliche Attitüde entwickelt, die »Frau« es behaglich auskosten lässt, »Mann« unbehaglich schwitzen zu sehen. Interessiert schaut sie mich an und ist sichtlich gespannt, wie es weiter geht. Da geht es ihr wie mir!
»Also Flavia, Linchen kann jetzt Kinder bekommen. Aber dafür muss ein Ei in ihr befruchtet werden.«
Puuh, es ist ausgesprochen! Der Anfang wäre geschafft. Ich wische mir innerlich den Schweiß von der Hirnrinde. Es ist wie bei einer Beichte – ist erst einmal der erste Satz draußen, schafft man den Rest auch!
»Heißt das etwa, Linchen kriegt dann Katzenbabies? So ganz kleine, niedliche, süße? Au ja, bitte!«
Flavias Begeisterung ist so ungetrübt wie die über Schnee und Schlittenfahren, bei mir will sich bei dem Gedanken an noch mehr Katzen im Haus keine rechte Freude einstellen. Lieber würde ich jetzt mit den Schlauch zwischen den lüsternen Romeo und seine devote Julia gehen, traue ich mich dann aber doch nicht. Dieser zeugungswillige Wildkater trägt deutliche Marken erfolgreich überstandener Revierkämpfe. Ihm fehlt ein Auge, was ihn umso verschlagener und draufgängerischer erscheinen lässt. Der drohende Blick aus dem verbliebenen warnt mich: »Vorsicht! Noch näher solltest du besser nicht kommen!« Er faucht bösartig und sprüht Geifer und Glut! Seine überdeutlich zur Schau gestellten Reißzähne bewegen mich letztlich dazu, der Natur ihren ungehinderten Lauf zu lassen.
»Und wie geht das Befruchten?«, will Flavia endlich erfahren.
»Das macht der Kater, ahem, mit seinem Samen. Darum ist der jetzt auch auf Linchens Rücken.«
Um bessere Sicht zu haben, rückt Tochter näher an das Geschehen heran. »Toll«, bemerkt sie wissenschaftlich hochgradig interessiert. Ich dagegen fühle mich wie fünf Pfund Sonnenbrand in der Mikrowelle! Himmel, warum hab ich ihr bloß keinen Kanarienvogel gekauft! Ich schwitze innen wie außen.
»Aber wieso beißt dieser fiese Kater sie jetzt in den Nacken?«, will Flavia wissen. Ich blättere in meinen Schulerinnerungen wie in Brehms Tierleben. Begriffe wie Nackenbiss, Stachelpenis und Eisprung prallen in meinen Gedankengängen aufeinander wie die Kugeln beim Billard.
»Eins nach dem anderen, nur immer schön langsam!« rede ich beruhigend zu mir selbst – aber dieser Mistkater hat sein eigenes Tempo. Allmählich komme ich mir vor wie ein vom Geschehen gehetzter Sportreporter. Beinahe muss ich über diese Vorstellung laut losprusten – sappradi, Harry Valerien kommentiert live eine Katzenkopulation:
»Toll, wie er den Übergang von der Mausefalle meistert … ja, das geht ordentlich in die Knie, die Kompression lässt einen fast nicht mehr hochkommen … die Piste ist bockelhart und weist nun schon einige Schläge auf … es wirft ihn hin und her … nur schwer kann er das Gleichgewicht halten … aber er kann, er muss … er verbeißt sich regelrecht in diesen Kurs, ja, er verkrallt sich in diese eisige Piste … jetzt das lange Gleitstück, da kann er sich etwas ausruhen, aber was heißt das schon, ausruhen, bei diesem Höllenritt … jetzt der Übergang zur Hausbergkante, da schanzt es ihn noch einmal über den Buckel, hoch hinaus und er fliegt, er fliegt, ja wo fliegt er denn hin? Weit, weit, fast bis aus der Spur … aber er fängt sich, fängt sich noch ein letztes Mal, da kommt er … kommt mit Höchstgeschwindigkeit in den Zielschuss … er ist über die Ziellinie … schwingt ab … jaaaa, jaaaaa, Bestzeit, Bestz… «
»Papa!?« Zurück ins Studio, die Tochter reißt mich aus meiner kleinen Flucht. »Wieso beißt der ihr in den Nacken?«
»Ahem …«, räuspere ich verlegen, »das macht der Kater wohl, damit er nicht runterfällt. Na ja, und dann führt er … äh …«
»Ja?«
» Ahem, … [leiser werdend] er führt nun [nuschelnd] sein Glied ein.“
»Was is‘, Papa?«
»Pass gefälligst besser auf, ich sag doch nicht alles zweimal!«
»Was führt er denn ein? Etwa seinen Penis?«
»Äh … wie? Was? Genau! Und wenn er sie dabei in den Nacken beißt, dann …«
Hier schreit Linchen plötzlich auf und befreit sich von ihrem Lover. Fauchend tatzelt sie nach dem reichlich verdutzt dreinschauenden Kater! Meiner Tochter reicht’s jetzt auch! Ungebremst bricht sich ihr Beschützerinstinkt freie Bahn! Wenn einer ihr Kätzchen misshandelt, dann ist Schluss mit lustig, aber sowas von – Katzenkinderwunsch hin oder her!
»Hast du das gesehen?«, zischt sie, »dieser Blödmann hat ihr wehgetan!« Flavia ist schwer verärgert. »Hau bloß ab und lass dich hier nicht mehr blicken!« Ohne das geringste Anzeichen von Furcht geht sie auf das Riesenvieh los und schlägt es tatsächlich in die Flucht! Sowas von Zivilcourage! Hat sie sicher von mir! Ich beruhige sie und erkläre, dass das bei Katzen nun mal so ist und dass das so schon seine Richtigkeit hat.
»Und bei den Menschen ist das auch so?«, fragt Tochter reichlich irritiert.
»Ja, bei allen Säugetieren ist das so«, mischt Heike sich nun ein. »Der Mensch ist da auch nichts anderes!« Aha – jetzt, wo die Schlacht erfolgreich geschlagen ist, kommt »frau« aus der Etappe und will am Sieg teilhaben!
»Heißt das etwa, dass ihr das bei mir auch so gemacht habt?« Flavia macht sich gar nicht erst die Mühe, ihren Ekel und ihr Entsetzen zu verbergen. Der besten Sexual-Aufklärerin von allen dämmert, dass sie ihre sichere Deckung wohl zu früh verlassen hat. Endlich kann ich mich zurücknehmen und mich an Mamas zunehmender Gesichtsröte weiden.
Heikes Gelassenheit gerät schwer ins Schleudern: »Nun, äh, sicher, ja, gewissermaßen, äh … kommt das … schon so … in etwa … dem gleich, was das Linchen … äh … äh … äh …«, stottert sie und blickt unsicher zu mir. Ihr stummes, aber eindringliches Hilfegesuch weise ich mit Stahlaugen zurück. »Tit for tat«, wie mein Englischlehrer zu sagen pflegte. Wie du mir, so ich dir! Das ist jetzt mein Augenblick und ich gedenke ihn voll und ganz auszukosten!
Aber da ist er auch schon jählings vorüber: »Iiiiiih – Papa! Und sowas hast du mit Mama gemacht?!«, fährt Tochter mich angewidert an.
»Ich? Äh, was? Wieso?« Verstört sehe ich mich um die verdiente Anerkennung für meine Mühe gebracht.
»Mann, das ist ja wohl voll ekelig! Also ich lass mir mal nicht in den Nacken beißen! Von keinem Jungen!«
Meine Verblüffung dauert ungefähr zehn Sekunden. Dann muss ich mich um Heike kümmern, die in Gefahr steht, vor Lachen ihre Zunge zu verschlucken.