Kinder(v)erziehung

Da erzieht man seine Kinder mit größtmöglicher Sorgsamkeit und was passiert? – Sie machen einem alles nach!

Gerade komme ich mit Flavia aus der Schule. Also, eigentlich nicht aus, sondern von. Freitag ist ihr Abholtag, weil sie da zusätzlich zur schweren Schultasche auch noch die Sporttasche schleppen muss. Flavia öffnet den Wagenschlag (der bleibt natürlich sperrangelweit offen) und spurtet an die Haustür, um dort Sturm zu läuten.

»Nimm endlich den Daumen von der Klingel! Zu was habe ich einen Schlüssel!«

»Ich muss dringend, sonst platze ich! Und du musst ja erst noch meine Autotür zumachen und meine Schulsachen reintragen!«

»Bin ich hier eigentlich der Knecht?«, schießt es mir durch den Kopf.

Mama, die gerade öffnet, kriegt die Türe vor den Kopf und geht zu Boden. »Gut, dass wir Fliesen haben«, denke ich. »Da kann sie die Beule gleich kühlen.«

Ohne sich weiter um ihr Opfer zu kümmern, springt Flavia über die Mutter hinweg und spurtet ins Klo. Stöhnend erhebt sich Heike und findet taumelnd Halt am Türpfosten.

»Was war das?«, fragt sie mit brüchiger Stimme.

»Überdruck auf der Blase«, kläre ich sie auf.

»O Mann, kann die nicht wie andere Kinder aufs Schulklo gehen?«

»Und wer hat ihr beigebracht, dass öffentliche Klos ekelig sind?«

»Das war auf einem Rastplatz, das ist ja wohl was anderes!«

»Wann warst du das letzte Mal auf einem Schulklo?«

» – – – ? «

»Genau darum!«

Flavia kommt mit dem gewissen Gesichtsausdruck von Erleichterung aus dem Klo. Natürlich bleibt die Tür offen. Und nicht nur die.

»Kannst du den Deckel nicht wieder runterklappen? Das habe ich dir schon zigmal gesagt. Ist das eigentlich zuviel verlangt?«, beschwert sich ihre Mama postwendend.

Der rhetorische Charakter der Frage entbindet Flavia von der Pflicht, ihr zu  antworten. Statt dessen rollt sie genervt mit den Augen. Mamas Bergpredigt ist ihr inzwischen so geläufig, dass sie den Text irgendwann und vermutlich ungeschnitten an unsere Enkel verfüttern wird. Als regelmäßiger und einziger Besucher dieses Gottesdienstes weiß sie, dass die Litanei noch nicht zu Ende ist:

»Und die Klotür lässt du auch immer sperrangelweilt offen! Das habe ich dir bestimmt schon hundertmal gesagt. Siehst du etwa bei uns, dass wir das auch so machen?«

Uuups! Die Einschläge kommen näher! Natürlich bemühe ich mich, das nicht so zu machen, aber manchmal halt, wenn man in Gedanken ist …  Ich sehe besser zu, dass ich aus dem Streubereich von Heikes Artillerie komme.

Flavia sieht mich wissend an, hält aber grinsend die Klappe.

»Ich schulde dir was, Mädel«, zwinkere ich ihr stumm zu.

Tochter stürmt nach hinten und ich gehe zum Kühlschrank ab.

»Was gibt’s zum Essen?«, ruft Flavia aus ihrem Zimmer.

»Hast du etwa noch deine Schuhe an?«, lautet Mamas Gegenfrage.

»Ich zieh sie ja schon aus!«, mault Flavia zurück. Mit deutlich gereizter Miene erscheint sie wieder im Flur.

»Wer-weiß-wie-oft habe ich dir schon gesagt, dass du deine Schuhe hier vorne ausziehen sollst! Du verteilst den Straßendreck in der ganzen Wohnung. Ich habe gerade alles sauber gemacht. Meinst du, ich bin hier die Putze von Dienst?«

Ich schaue etwas bedripst an mir herunter – auch ich habe noch meine Fußbekleidung an. Heimlich versuche ich, sie mit den Füßen abzustreifen. »Nicht so!«, warnt Heikes Stimme eindringlich. »Mach gefälligst die Schnürsenkel auf! X-mal habe ich dir gesagt, dass davon die Schuhe kaputt gehen!«

Das konnte sie doch jetzt gar nicht sehen, woher …? Ach so, sie meinte gar nicht mich, sondern Flavia. Trotzdem fühle ich, wie mein Teint eine leichte Röte annimmt. Eigentlich hat sie ja recht. Folgsam gehe ich in die Knie, öffne die Schnürsenkel und ziehe die Schuhe ordentlich aus. Aber wohin jetzt unbemerkt mit den Tretern? Es sind gottlob nur leichte Mokassins, daher kann ich sie in den Hosenbund meiner Jeans schieben. Die ist jetzt allerdings zum Platzen gespannt.

Heike kommt in die Küche. »Ich wollte es gerade vor der Kleinen nicht erwähnen, aber sie gerät immer mehr nach dir.«

»Willst du damit etwa sagen … «, versuche ich in Selbstverteidigung aufzubegehren.

»Ich will damit sagen«, unterbricht mich meine schönere Hälfte und nimmt mir mit einem atemberaubenden Kuss die Luft zu jeglichem Widerspruch, »dass ich dich trotzdem und auch ein ganz kleines bisschen deswegen lieb habe.«

Heikes Augen sind lasziv zu einem perfekten Marilyn-Monroe-Blick geformt und schmachten mich herausfordernd an. Ihre Hände bewegen sich bedächtig und wie von ungefähr in südliche Gefilde.

»Hallo, Katerchen!«, bemerkt sie anzüglich. »Schon gestiefelt und gespornt?“

Ich vergewissere mich mit einem schnellen Blick, dass Flavia nicht zugegen ist und versuche die Gunst des Augenblicks für einige Freizügigkeiten zu nutzen. Allerdings hat diese Schlange in Frauengestalt durchaus Übung in der Nahkampfabwehr. Ich bekomme einfach keine Chance zu einem finalen Griff.

»Sag mal«, haucht sie mir jetzt mit rauchiger Stimme ins Ohr, »hat dir deine Mami eigentlich nie gesagt, dass Slipper nicht in den Slip gehören? Davon kann man So(h)leier bekommen …«

Reptilartig entwindet sie sich meinen Händen und widmet sich mit einem koketten Siegerlächeln der weiteren Zubereitung des Mittagessens.

Ich liebe dieses raffinierte Biest, und das kann ich ihr hundertmal sagen!