Murphys Badewanne
Jeder kennt sie, die unbewiesenen, von Wissenschaftlern in akribischen Studien tausendfach widerlegten Weisheiten, die aber nichtsdestotrotz wahr erscheinen!
Frau und Tochter sind für mehrere Stunden außer Haus. Die Wohnung gehört mir allein! Ich sitze in der Badewanne. Nein, genau genommen hat mein Hinterteil eben erst die hauchdünne Membrane zwischen Schaum und Wasser berührt. Einem Wasserläufer gleich verharrt der Po noch einen flüchtigen Augenblick lang schwebend an dieser Schwelle und prüft, ob die Temperatur erträglich ist.
Alles okay, lautet die Rückmeldung ans Gehirn, die auf den Wannenrand gestützten Arme geben das Gewicht frei und – man taucht ein in das wohlig wärmende Element. Da klingelt das Telefon! Nein, nicht das Handy, das hatte ich vorsorglich mit ins Badezimmer genommen. Es ist das Festnetztelefon und natürlich steckt das dazugehörige Mobilteil unerreichbar fern in der Basisstation im Hausflur.
Zunächst bin ich über meine eigene Nachlässigkeit verärgert: da investiert man teures Geld in die schnurlose Technik und dann vergesse ich Schussel das Mobilteil. Schon beim nächsten Klingelton erfasst mich ein Gefühl von Resignation. Ich ahne, dass mein weiteres Verhalten absolut nichts an meinem Dilemma ändern wird. Egal wie ich mich entscheiden werde, ein Schabernack treibender Belzebub wird seine Schadenfreude an mir austoben und auflegen, bevor ich das Telefon erreichen werde.
Trotz meiner als gewiss empfundenen Chancenlosigkeit spiele ich in Gedanken die Alternativen durch:
1. Ich trockne mich sorgsam ab und verlasse das Bad trockenenen Fußes
2. Punkt eins in flüchtig und ich eile überwiegend nass ans Telefon
3. Ich bleibe in der Wanne und warte, dass der Anrufer aufgibt
Entscheidungs-Notstand! Soll ich, oder soll ich nicht aus der Wanne steigen? Es könnte ja etwas Wichtiges sein! Vielleicht möchte mir gar ein Testamentsvollstrecker mitteilen, dass ein Erbonkel mir sein Vermögen vermacht hat? Ich durchblättere im Geiste die Dossiers zu meiner Verwandschaft und stelle mit Bedauern fest, dass sich in dieser keine reichen Erblasser befinden. Zumindestens keine, deren Legat einen thermopylus interuptus aufwiegen würde.
Also bleibe ich liegen. Ich muss mir noch tiefere Gedanken darüber machen, wer – und aus welchen Grunde wohl? – mich partout aus dem Zuber locken will. Außerdem wird derjenige sowieso bald aufgelegt haben und später noch einmal anrufen, nicht wahr?
Ein rationales Abwägen, ob und wie ich die drohende Vertreibung aus meinem warmen Refugium abwenden kann, wird jedoch durch die geradezu impertinente Beharrlichkeit des unbekannten Anrufers aufs Empfindlichste gestört: der legt und legt einfach nicht auf!
Die ganze Entspannung, oder besser gesagt, die Hoffnung darauf, ist beim Teufel! Allmählich verfliegt der Ärger über meine eigene Nachlässigkeit und macht einem sekündlich anwachsenden Unmut über den penetranten Störenfried Platz. Irgendwann ist mein Verdruss so groß, dass ich mich definitiv für Möglichkeit drei entscheide und das bekannte Geduldsspiel beginnt: mal sehen, wer’s länger aushält – der oder ich!
Um den nervenden Klingelton zu dämpfen, ziehe ich die Knie an und tauche unter. Leider habe ich vergessen, die Nase zuzuhalten und so laufen sämtliche Haupt- und Nebenhöhlen voll mit Badelauge. Dabei hat das Gehirn wohl einen leichten Wasserschaden abbekommen, jedenfalls brennen die Synapsen in diesem Bereich wie Hölle.
Prustend und schnaubend, und darum verständlicherweise unverständlich fluchend, tauche ich wieder auf – abwechselnd um Luft ringend und Wasser speiend. Derweil ringt das Telefon munter und trocken weiter. Augen-, nein ohrenscheinlich habe ich ein Kommunikationssystem mit anschwellender Lautstärke erworben, jedenfalls schrillt es von Mal zu Mal intensiver.
Mein Gehirn hat sich zwischenzeitlich resettet und schlägt nun vor, doch einfach die Finger in die Ohren zu stecken. Das hätte es mir auch vor dem missglückten Tauchgang raten können. Aber es nützt nichts: alle Schallwege sind jetzt zwar blockiert, doch nun bohrt in mir die wütende Neugier, ob der unbekannte Unhold endlich aufgegeben hat! Klingelt’s noch? Finger raus, es klingelt noch, Finger rein! War ja klar.
Nach gefühlten zehn Minuten bin ich schlachtreif. Ich will endlich wissen, welcher Ignorant nicht wahrhaben will, dass niemand zuhause ist. DEN kaufe ich mir jetzt! Damit er nicht doch noch im letzten Moment auflegen kann, springe ich mit Katapultstart aus der Wanne und hechte triefend nass zum Apparat. Dass ich dabei Badezimmer und Flur flächendeckend flute, ist mir wurscht. Ich will nur noch diesen Telefonterroristen durch die Leitung ziehen und in meinem Badewasser ersäufen!
Als ich endlich den Hörer zu fassen kriege, erstirbt das Klingeln. Noch bevor ich herausschreien kann, welcher Gehirnamputierte es stundenlang bei anderen Leuten klingeln lässt, hat mein Folterknecht aufgelegt. Zornesbebend beschimpfe ich das Telefon: »Du elendiges Mistding! Das machst du doch mit Wonne!« Der Apparat quittiert meinen Ausbruch seelenlos mit einem unerregten Freizeichenton.
In diesem Augenblick erschrecke ich fast zu Tode: Vor mir steht ein nackter Irrer mit Schaumkrönchen auf dem Kopf und Geifer vor dem Mund. Was ich immer sage, der Spiegel gehört einfach nicht hier hin! Ein unerwartetes Geräusch hinter meinem Rücken läßt mich zusammenzucken: die Haustüre wird geräuschvoll aufgesperrt.
Im Rahmen erscheint Heike, in der Hand noch das Handy, mit dem sie mich hatte vorwarnen wollen: Sie hat eine alte Schulkameradin getroffen und diese zu einer spontanen Tasse Kaffee eingeladen …
Gleichermaßen erstaunt wie eingehend werde ich von Freundin und Angetrauter begutachtet. Ich komme mir vor wie ein Pantoffeltierchen unter dem Mikroskop – tausche Königreich gegen ein Mauseloch! Sie habe sich offensichtlich ein völlig falsches Bild von mir gemacht, sei aber sehr erfreut, versichert mir die Musterungsärztin mit mokantem Lächeln. Mit einer dezenten Verbeugung ergreife ich die mir dargebotene Hand. „Ganz meinerseits!“, lüge ich nonchalant zurück. Souverän entschuldige ich mich mit einer unaufschiebbaren Erledigung und drehe vor meiner zu Stein erstarrten Angetrauten ab ins Bad.
PS. Ich erwäge Festnetzanschlüsse in Bad und WC.