Aufklärungsunterricht (Teil 2)

Unser Linchen ist nach wie vor nicht sterilisiert. Inzwischen ist sie in zwei Würfen fünffache Mutter geworden: zwei rote Kater im ersten, zwei graue Tigerinnen und ein cremefarbener Kater beim zweiten Wurf.

Eigentlich (im Sinne von Selbstbetrug) sollte sie nach dem ersten Durchlauf aus dem Rennen genommen werden. Eigentlich –

Aber dann fanden großes und kleines Frauchen die Katerchen Mickey und Romeo sooo süüüß, dass die Neugier auf weitere Kätzchen zu stark wurde, als dass sie ungestillt bleiben durfte. Und so bekamen Linchen und die gesamte Familie im März dieses Jahres besagten zweiten Nachwuchs: Chili, Lissi und Sammy.

Apropos Stillen – irgendwo hatte ich gelesen, das Katzen während der Stillzeit nicht schwanger würden. (Oder galt das für Hunde? Menschen?? Amöben???)

Als Heike, bekanntlich die beste Katzenmama von allen, mich zwei Wochen nach dem Wurf unseres oben erwähnten Trios fragt: »Sag mal, wie schnell nach einer Geburt können Katzen eigentlich wieder trächtig werden?«, kann ich sie aufgrund meines profunden Wissens in dieser Frage sofort beruhigen:

»Solange eine Katze stillt, geht da gar nichts“, doziere ich im Brustton der Überzeugung. „Da hat die Natur nämlich einen cleveren Schutz eingerichtet, um Überpopulationen  zu verhind…«

»Und wieso hockt dann schon wieder ein Kater auf unserem Linchen!?« unterbricht Heike unwirsch meinen Vortrag.

»Äh, wie bitte? Das ist doch vollkommen unmöglich!«

»Mit eindeutigem Nackenbiss!«, stellt sie trocken fest.

»Das, das, – das muss ein Irrtum sein!«

»Von unserer Katze oder vom Kater?«

»Beiderseits!«

»Du solltest vielleicht mal mit dem Schlauch dazwischen gehen. Sonst kannst du diesem Irrtum in 2 Monaten auf die Welt helfen. Und das vermutlich mehrfach!«

»Du, da kann eigentlich nix passieren. Die machen das sicher nur aus Jux und Tollerei. Eine Art Übersprunghandlung. Du weißt doch, wie sich so was zuweilen ergibt …«

Ich schenke Heike mein »Sexiest-Man-Alive«-Zwinkern, ernte allerdings lediglich eine hochgezogene Augenbraue: »Tut mir leid, so weit reichen meine Erinnerungen nicht zurück!«

Eigentlich sollte ich diese Anzüglichkeit im Interesse des häuslichen Friedens überhören (wie sollte das möglich sein?), doch es juckt mich zu sehr (na warte!), ihr diese Frechheit mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Mal überlegen, was wäre eine angemessene Vergeltung?  – Das ist es: Gedächtnisprobleme sind häufig eine Alterserscheinung! Ja, das ist gut! Die Vorfreude auf diese Retoure lässt meine Mundwinkel-zu-Mundwinkel-Distanz äquatoriale Dimensionen annehmen.

Noch bevor allerdings mein Mund auch nur eine einzige Silbe formen kann, warnt mich Heikes sanfte, aber nachdrückliche Stimme: »Solltest du jetzt aussprechen, was dir so offensichtlich auf der Zunge liegt, mein Herz, schläfst du heute Nacht auf der Couch!«

Seltsam, Heike hat den Film nie gesehen, aber ich könnte schwören, sie klang gerade wie Marlon Brando als Don Vito Corleone in »Der Pate«: »Geh und mach ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann!«

Natürlich wäre ich nicht der Mann, der ich bin, würde ich diese Klippe nicht in Sekundenschnelle umschiffen: »Ich wollte sagen, meine Liebe, vielleicht gibt es ja auch für Katzen die Pille danach. Und eine solche verpassen wir ihr einfach! Sicherheitshalber!«

»Und ich ruf jetzt erst mal beim Tierarzt an! Sicherheitshalber!« Grundsätzlich kein schlechter Gedanke von Heike, aber eigentlich auch total überflüssig, schließlich stillt Linchen ja noch. Ich bin mir ziemlich sicher, da kann nichts passieren!

Nach einigen Sätzen mit dem Veterinär kehrt Frauchen zurück.

»Woher beziehst du eigentlich dein Wissen über die Fruchtbarkeit von Katzen?«, will sie wissen.

Schon wieder dieses ‚eigentlich‘. Eigentlich mag ich dieses Wort; ja, ich mochte es eigentlich schon immer. Wegen seiner salvatorischen Unverbindlichkeit, die seinem Benutzer stets einen Fluchtweg offen hält. Aber jetzt? Der Unterton ihrer Frage lässt mich jedenfalls einen Hinterhalt vermuten. Woher, woher – keine Ahnung woher. So was weiß man einfach! Jetzt hilft nur Parole »Lülolü« (Lückenlos lügen), wie mir mal ein Psychologischer Managementtrainer geraten hat.

»Von Herrn Brachwitz, meinem alten Biolehrer! Wieso?«, flunkere ich sie also gedankenschnell und ohne den geringsten Anflug eines schlechten Gewissens an.

»Weil ich soeben von einem Fachmann (sie unterstreicht das Wort beim Sprechen zweimal) erfahren habe, dass Katzen schon kurz nach der Geburt wieder trächtig werden können!«

»Und wann, bitte schön, weiß man, dass – ich meine, wie kann man feststellen, ob …? Gibt es da vielleicht einen Urintest, so wie bei euch?«

Die Katzenexpertin lehnt mit locker verschränkten Armen lässig am Türstock und ist ganz gönnerhafte Überlegenheit: »Und wie willst du sie dazu bringen, da drauf zu pinkeln?«

»Keine Ahnung, war ja nur so ein Gedanke.«

»Du kannst dich ja mit ’nem Teststreifen im Katzenstreu einbuddeln und warten, dass sie dir draufpinkelt!«

Au weia, meine Frau wird witzig – jetzt ist „högschde“ Vorsicht geboten! Meine nächsten Äußerungen sollte ich so sorgsam planen wie den Spaziergang durch ein Minenfeld.

»Ja, dann vielleicht wirklich die Pille danach?«, schlage ich nochmals vor. »Wir könnten den Katern natürlich auch den künftigen Gebrauch von Kondomen nahelegen, hahaha!« – – –

»Papa, was’n das: ‚Kondome’?« Einem Naturgesetz gleich tauchen Achtjährige immer zu den ungelegensten Zeiten und an den unpassendsten Orten auf.

Die beste Mama von allen nickt mir gütig lächelnd zu und gibt mir im Vorbeigehen einen aufmunternden Klaps auf die Schulter: »Ich bin dann mal für eine halbe Stunde weg!«

Als sie an Flavia vorübergeht, glaube ich aus den Augenwinkeln zu erkennen, dass ihre Mundwinkel-zu-Mundwinkel-Distanz – aber da kann ich mich auch getäuscht haben.