Zweimal ist Ellas Recht
Gassi-Pflicht für Herrch*innen – die Hundeministerin für Planwirtschaft Julia Klöckner plant strenge Vorgaben für Hundebesitzer
Ich sollte es vermutlich gar nicht an die große Glocke hängen, schließlich bin ich nicht der Dingens von Notre Dames Klöckner, aber jetzt schlägt’s dreizehn – mein Hund streikt! Es hilft kein Bitten und kein Betteln, Ella ist nicht vom Sofa zu bewegen. Von wegen zweimal Gassi gehen. Was unsere Agrar-Barbie sich so denkt! 12 Kilo lethargischer Jagdinstinkt belagern die Couch und weder gute Worte noch böse Blicke bewegen die Bracke dazu, die behördlich angeordnete zweite Gassirunde zu drehen. Ich drohe, ich flehe, ich locke mit Leckerli – keine Chance! Ella grunzt hörbar indigniert und gräbt den Kopf nur noch tiefer in die Kissen. Ziviler Ungehorsam!
Ratlos stehe ich vor unserer Hündin. Was ist zu tun? Julia versteht da sicher keinen Spaß, die ist da hart wie Knäcke. Ich hole schon mal das Brustgeschirr und versuche, es Ella wie beiläufig anzuziehen. Ich sehe pfeifend in die andere Richtung und schwups – schon ist das Kissen angeleint. Vorbei gelungen! Also nochmal, diesmal allerdings ohne wegzuschauen. Ella zeigt deutlichen Widerstand. Es ist unglaublich, wie schwer und sperrig dieses Leichtgwicht von einem Hund sein kann, wenn es nicht will. Es scheint fast, als saugte sie sich mit ihrem Bauch an das Sofa und krallte sich mit Widerhaken im Bezugsstoff fest.
Ganz allmählich und Stück für Stück bekomme ich sie schließlich doch noch hoch, als aus Ellas Kehle ein warnendes Knurren ertönt. Ups – das hat sie noch nie getan. Ich bin irritiert, nehme dann aber die Challenge an. Das wollen wir doch mal sehen, wer hier das Sagen hat! Ich fasse Ella scharf ins Auge – wer zuerst wegschaut, verliert! Irgendwann dreht sie den Kopf zur Seite und ich habe gewonnen! YES, TSCHAKA! Wer ist hier der Kerl im Hause?!
Ella gibt die Schlacht verloren, nicht aber den Krieg. Sie verlegt sich auf passiven Widerstand. War sie vorher starr und steif, ist sie nun wie aus Latex. Ich bekomme einfach keinen Zugriff, als ich versuche, ihr das Brustgeschirr umzuschnallen. Ist in etwa so, als würde man versuchen, einen Aal anzuleinen.
Ich gebe auf! Mist – Ella war heute erst einmal draußen! Vor der Türe lauern sicher schon die ersten Tierschutz-Blockwarte mit gezückten Strichlisten. Die Überwachung anderer Menschen ist nicht erst seit Corona der neue Zeitvertreib mancher Zeitgenoss*hickser*innen. Habe keine Lust, mich von meinem Nachbarn denunzieren zu lassen.
Irgendwie muss ich dieses Problem in den Griff bekommen, schon im Hinblick auf zukünftige Trotzattacken unserer Bracke! Mal nachgedacht … Schließlich kommt mir die Idee: ich erinnere mich an diesen Straßenkünstler, der einen imaginären Hund an einer Drahtleine vor dem Publikum hin und her führte. Sah wirklich so aus, als ginge er mit einem unsichtbaren Hund spazieren. Dieser zog ihn am ausgestreckten Arm bald nach links, bald nach rechts über den Platz und das Publikum war begeistert. Eigentlich eine simple Idee und dazu noch kostenkünstig! Kein Hund, keine langwierige Dressur, kein Futter, Steuer, Arzt und so weiter und so weiter – und kein Gassigehen!
Gassigehen, Stichwort – meine Idee ist ähnlich einfach. Nur, dass ich kein leeres Halsband vor mir her tragen kann, Ella ist inzwischen bekannt wie ein … ein … na, eben wie ein bunter Hund. Nicht besonders gelungen, der Vergleich Ella/Hund, da sollte ich nochmal drüber. Egal, ich brauche jedenfalls ein behördentaugliches Double. Woher nehmen und nicht stehlen? Ha, der Spielwarenladen! Schnell runter in die Spielestation und eine ellagroße Plüschtier-Doppelgängerin besorgen. Tatsächlich finde ich ein geeignetes Stofftier!
„Wie alt ist denn das Kind?“, will die Verkäuferin wissen.
„Was für’n Kind?“, erwidere ich, „Das ist für mich! Kann der auch Pipi und A-a machen?“
„Wie meinen?“
„Na, so wie diese Baby-Björn-Puppen oder wie diese Dinger sonst heißen. Die können sowas doch.“
Offensichtlich habe ich die Dame gründlich verwirrt. Jedenfalls wirkt ihr Gesichtsausdruck reichlich verständnislos.
„Egal“, sage ich und ziehe das mitgebrachte Hundegeschirr aus der mitgebrachten Tasche. „Haupsache, das hier passt!“ Mit geübten Griff schnalle ich dem Double das Flechtwerk um.
„Was ist denn das?“ fragt die Verkäuferin und zeigt auf den Tracker, der an dem Geschirr hängt.
„Das ist ein GPS-Chip“, sage ich, „damit kann ich sie jederzeit orten, egal, wo sie gerade ist. Ella hat einen ausgeprägten Jagdinstinkt und geht gerne mal stiften.“
„GPS … geht stiften … Jagdinstinkt …“, wiederholt sie verständnissuchend meine Worte. „Und wer ist Ella?“, will sie endlich wissen.
„Na, der Hund“
„Ach, einen Namen hat er auch schon?“
„Ja klar – Ella. Das ist griechisch und heißt ›Komm her!‹ – muss sie aber erst noch lernen. Genauso wie ›sitz‹ und ›platz‹. Griechische Bracken tun sich da etwas schwer. Jagdtrieb halt.“
„Jagdtrieb … mmh … verstehe. Ella ist – was nochmal? Eine …“
„Eine griechische Bracke!“ helfe ich ihr weiter. „Ja ja, dass sind Schweiß- und Fährtenhunde. Immer die Nase am Boden, das gute Mädchen“
„Ah, ja … und Ella ist demnach … ein Mädchen!? Da sind sich ganz sicher?“
„Ja natürlich!“
„Und das erkennen Sie woran?“
„Na, an ihren Zitzen. Und natürlich an …“ Ich beuge mich ganz nah zur Verkäuferin vor und raune ihr vertraulich ins Ohr: „… und natürlich an ihrer ›Mu-mu‹ .“
Der verwirrte Ausdruck der Verkäuferin nimmt jetzt deutliche Züge der Entgeisterung an. Gaaaaanz vooorsichtig weicht sie Schritt für Schritt zurück. Augenscheinlich versucht sie, ausreichend Fluchtdistanz zwischen sich und mir aufzubauen. Ich erkenne die Doppeldeutigkeit meiner Wortwahl. Hastig füge ich darum laut hinzu:
„Also natürlich meinte ich nicht Ihre Zitzen und Ihre Mu-mu, ich meinte Ellas!“
Ich merke, wie einige Kunden mich erstaunt mustern. Ah ja … Der vormals blasse Teint der Verkäuferin hat inzwischen die Farbe einer reifen Tomate. Ich sollte die verfahrene Situation so schnell wie möglich beenden.
„Also, ich nehme sie! Sie passt perfekt!“
Ohne den Blick von mir zu wenden, geht die Verkäuferin hinter den Tresen. Die trennende Barriere gibt ihr offensichtlich die verlorene Sicherheit zurück. Ihr Teint und auch ihr Atem beruhigen sich merklich. Ich bezahle und will gehen.
„Moment“ ruft mich die Verkäuferin zurück, „soll ich Ella nicht als Geschenk einpacken?“
„Nein, danke,“ sage ich und klemme die Plüschtöle unter den Arm, „ist nicht nötig! Ich gehe ja sofort mit ihr Gassi!“
Der Verkäuferin klappt der Kiefer nach unten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie und der restliche Laden mir noch längere Zeit hinterhersehen.
Jetzt aber schnell nach Hause! Ella liegt immer noch dösend auf der Couch. Im Hobbykeller pfriemle ich geschickt den Draht eines Kleiderbügels in eine Leine. Zum Schluss schnalle das Hundegeschirr mit dem Plüschtier an die nun ausreichend steife Leine. „Letzter Aufruf“ versuche ich Ella doch noch zum Einlenken zu bewegen, ernte aber lediglich ein Geräusch, dass sich wie „Pfff“ anhört. Ich schnappe mir Ellas Double und verlasse das Haus.
Ab sofort ziehe ich also mit der Hundeattrappe „um die Häuser“ – wortwörtlich. Jedenfalls immer dann, wenn Ella mal wieder Gassi schläft. Vorsorglich werfe ich ihre vollen Kotbeutel nicht mehr weg, sondern ziehe sie bei Bedarf unauffällig aus der Tasche. Anschließend mache ich mich, das Säckchen schwenkend, mit „Ella zwo“ auf den Heimweg. Ist zwar im wahrsten Sinne des Wortes Beschiss und aufwändig obendrein, aber für unsere oberste Tierschützerin ist mir keine Mühe zuviel.
Mein nächstes Haustier wird aber wohl eher ein Schwein sein. Das kann man sein Leben lang im Käfig halten, wen interessiert’s!? Vermutlich keine Sau – oder, Frau Klöckner?