Verständigungsprobleme
Ich bin im Leben viel herumgekommen, in Deutschland und in der Welt. Ich weiß inzwischen, dass kölsche Jongs unbedingt betonen müssen, an welchem Gewässer die Stadt liegt, aus der sie stammen, wenn sie mit einem kaum hörbaren G am Ende sagen: „Isch bin us Kölle am Rhin(g)“. Wichtig ist, dass man „nit vo dä schäl Sick küt“, also von der minderen Rheinseite stammt – dort, wo Düsseldorf liegt. Und Blutwurst heißt nicht etwa „Blootwoosch“, sondern „Flöns“ – mit einem hörbaren Stich ins Ü.
In Bayern habe ich gelernt, dass ich nur ein Zuagroasta bin, also kein Zugreisender, sondern ein Hinzu-Gereister und dass die Feststellung „Die Oide is a rächte Schnodern!“ nichts mit dem sprichwörtlichen Rotz an der Backe zu tun hat, sondern nur ein ausgesprochen geschwätziges Weib bezeichnet, eine Ratschkathl halt. Doana-Letten sind auch nicht etwa Angehörige eines baltischen Stammes, sondern bedeutet schlicht Donauschlamm. Ein eher gekünstelter Ausdruck, mit dem die „rengschburger“ Ureinwohner gerne mal das bajuwarische Sprachtalent von Zuwanderern testen – Letten heißt übrigens Dreck.
Bei den Schwaben, unter denen ich seit langem lebe, sagt man (wohl um den Mangel besonders zu betonen), ein bis an den Rand mit Luft befülltes Glas sei „voll leer“ und gelten Schwaben auch gemeinhin fälschlich als behäbig, so muss bei ihnen selbst das Nichtstun ohne Zeitverzug geschehen: „Wart au mol gschwend!“ Bei „Doschdich“ bin ich mir manchmal im Zweifel, ob der Betreffende gerade durstig ist oder der ähnlich klingenden Wochentag gemeint ist. Manchmal ergibt sich der Sinn aus dem Kontext. Sicherheitshalber habe ich oft etwas Trinkbares dabei, gerade donnerstags, falls jemand mal am Doschdich doschdich wird.
Bei den Italienern geht es mir ähnlich, dort bedeutet „caldo“ sinnigerweise nicht kalt, sondern warm. Und in Griechenland meint man nicht, dass der Karli gerade nicht da sei, wenn man Kalinichta sagt. Besonders aber verwirrt mich, dass ein griechisches „Ne“ das Gegenteil, nämlich „Ja“ bedeutet! Da kenne sich noch einer aus! Griechische Frauen meinen Ja, wenn sie Ne sagen? Was für ein Sprachgewirr!
Aber ich schweife ab, wenngleich auch nur, um zu verdeutlichen, dass ich mich bislang, egal wo oder bei wem, immer und irgendwie zu verständigen wusste – mit Langenscheidt und bei Bedarf eben mit Händen und Füßen. Dieses Mal aber ist mein Sprachgeschick auf Null gesetzt! Ich benötige dringend einen Hundedolmetscher, denn entweder versteht mein Hund mich nicht oder ich nicht meinen Hund. Seit fünf Minuten versuche ich vergeblich, Ella zum Gehen zu bewegen. Die steckt bis zum Halsband in einem Erdloch. Jagdfieber hat sie gepackt. Auf einem Hektar Ackerfläche verstummen alle Nager und ducken sich angstvoll in Gänge und Löcher. Oben gräbt der Tod!
Dort versuche ich wiederholt, Gevatter Tod herbeizurufen: „Ella, komm!“ – Sinnigerweise bedeutet Ela im Griechischen „komm“. Ich liebe derlei Absurditäten und es amüsiert mich insgeheim, dass mein Kommando für Griechen (m/w/d und griechisch sprechende Menschen) wie „Komm-komm“ klingen musste. Ich könnte beliebig variieren und rufen „Komm, Ella!“ oder „Komm, komm“ – es bedeutete immer das Gleiche! Oder sogar dasselbe? Ich könnte sie vieldeutig „Ella, ela!“ rufen! Würden die großartige Ella Fitzgerald oder France Gall noch leben, es wäre wahrscheinlicher, die beiden Damen mit dem Kommando herbei zu locken als meine Hündin. Ella, die eigensinnige Griechin, ignoriert mich und unliebsame Komandos geflissentlich! Sie hat eine Mission und die erfüllt sie, ohne Wenn und Aber! Wozu hat man seine Instinkte! Kubikmeter um Kubikmeter nähert sich mein Hund dem Erdkern. Jau, denke ich, netter Flurschaden. Ob den die Haftpflicht abdeckt? Ich halte Ausschau nach dem Bauern. Gottseidank ist weit und breit niemand zu sehen.

Resignierend greife ich zum Smartphone mit integriertem Gugeltränsläid. Alles da: Azerbaidschanisch, Chichewa, Hmong, Mandarin – selbst Zulu und Hindu. Hündisch allerdings fehlt. Leider. Zumindest schlägt die Suchmaschine mir eine Hundetrainerin vor. Die rufe ich umgehend an. Nach Preisgabe meiner Kredikartennummer (für die Beratung per Telefon) schlägt mir die Expertin die Lektüre ihres Buches vor. Die Verständigung gestaltet sich schwierig, da der Hund der Trainerin ständig dazwischenbellt und sie ihn wiederholt und energisch zur Ordnung rufen muss. „AUS, ROLLO! PFUI! NEIN! NICHT DAS SOFA, DU VERDAMMTE TÖLE!“ – Sie ist hörbar gestresst und meint schließlich, man könne sich ja über SMS weiter austauschen. Jedenfalls schickte sie mir den Link zu ihrem Buch „Entspannter Umgang mit Problemhunden“, welches ich umgehend online (also noch an der Leine) als kostengünstiges E-Book für 33,99 Euro erstehe. Der Download der zwei Megabyte dauert etwa eine halbe Stunde (auf dem Acker gibt’s nur Edge), aber dann kann ich nachlesen, dass Hunde Menschensprachen nicht verstehen. Keine einzige. Hatte ich auch schon bemerkt. Ohne Buch. Wenigstens stört Ella mich nicht beim Lesen. Mäuse, Ratten oder was auch immer, waren ihr jetzt wichtiger. Geduldig stehe ich neben dem grabenden Hund und lese.
Ich bin gerade an der Stelle „Erste Kommandos und wie man sie durchsetzt“ angekommen, da klingelt Frauchen. Ich drücke auf das Lautsprechersymbol. Ihre Frage „Wo seid ihr?“ kann ich noch so gerade eben vernehmen, doch bevor ich antworten kann (lag es nun an Frauchens Stimme oder reizte Ella der Klingelton), jedenfalls springt mir die Hündin an meine Hand, das Handy steigt steil in die Luft und verschwindet nach einem perfekten und fast schon ästhetisch anmutenden Parabelflug in Ellas Tiefbauarbeit.
„Hallo?“
Frauchens Stimme dringt nur schwach aus dem Erdloch zu mir nach oben.
„Ich höre dich nicht. Steckst du in einem Funkloch?“
„Kann man so sagen“, schreie ich in Richtung Erdspalte zurück.
„Geh bitte näher ans Mikro! Du bist fast nicht zu verstehen.“
Gehorsam lasse ich mich in den Liegestütz fallen. Neben mir drückt Ella ihre Nase noch energischer in das Loch und fiept ausgelassen vor Freude. Frauchen, Frauchen ist da unten! Warte, ich komme! Ella ist jetzt ganz in ihrem Element. Grasbatzen, Erde, ganz Felsen fliegen nur so durch die Gegend.
„Sag mal, ist bei euch ein Bagger am Werk? Ich höre nur Gescharre und Ellas Gejaule. Seid bitte in 10 Minuten beim Tierarzt. Ich lege jetzt auf!“
Mist, den Termin hatte ich glatt verschwitzt. Ich kratze das Handy aus dem Loch und betrachte Ella. Die Hündin ist mit einer dicken Lehmschicht überzogen und ähnelt den Knet-Tieren, die unsere Tochter einst im Kindergarten gebastelt hat. Nur größer. Ohne Rücksicht auf Ella und meine Kleidung wasche ich die Hündin in der nächstgelegenen Pfütze. Glücklicherweise hat es in der Nacht zuvor ausgiebig geregnet. Schmutzstarrend, dafür aber mit sauberem Hund öffne ich zehn Minuten später pünktlich die Praxistür. Der Warteraum ist glücklicherweise menschenleer. Matthias, der Tierarzt, kommt eben aus dem Behandlungsraum.
„Wie siehst du denn aus? Wird euer Bad gerade renoviert? Nimm dir mal ein Beispiel an deinem Hund!“ – „Rede du mir nicht von schlampiger Morgentoilette – bist selber scheiße rasiert!“, flapse ich unbekümmert retour. Der Doc grinst breit durch seinen Dreitagebart. Man kennt und mag sich – derselbe Humor halt. Selbst Ella scheint sich zu amüsieren und zeigt gut gelaunt ihre Zähne.
„Na, dann kommt mal rein in die gute Stube“, fordert der Tierarzt uns beide auf. „Du, mein Lieber, fasst bitte nichts an. Und bewege dich nicht, du bröckelst schon!“ Er hebt Ella auf den Untersuchungstisch und sagt: „Und du zeigst mir mal, wie brav du bist!“
Als wäre da nie ein missachtetes Kommando, folgt Ella ihm mustergültig und aufs Wort. Still wie eine griechische Statue steht sie auf dem Behandlungstisch, ist folgsam und zeigt sich überhaupt von ihrer besten Seite. Geduldig lässt sie sich in Maul und Ohren schauen und auch den Rest der Untersuchungen erduldet sie in stoischer Gelassenheit.
„So ein guterzogenes und freundliches Tier sieht man selten – wie lange, sagtest du, ist Ella jetzt bei euch? Erst 10 Tage? Unglaublich!“
Zum Schluss verabschiedet sich Ella artig beim Doc und der Helferin. Gerührt und mit Stolz geschwellter Brust verlasse ich mit „meinem“ Hund die Praxis – nass und verdreckt, aber restlos glücklich! Ella sieht mich mit klugen Augen an: „Wir verstehen uns, Kumpel!“, scheint ihr Blick zu sagen. Ich zwinkere zurück.