Der Hund muss an die frische Luft
Gassigehen. Bislang für mich ein Fremdwort, denn bis vor kurzem besaß ich „nur“ vier Katzen. Ich liebe Katzen! Weil unkompliziert: Tür auf, Katze raus, Tür zu – Fall erledigt! Deswegen wollte ich eigentlich keinen Hund. Jetzt habe ich einen. Gassigehen erscheint mir inzwischen wie ein bekanntes Gesellschaftsspiel – ich gehe mit meinem Hund und packe in meinen Rucksack: eine kurze Hundeleine; eine lange Schleppleine; ein Regencape für schlechtes Wetter; einen Kühlumhang für Ella bei hohen Temperaturen; Feuchtetücher; ein Handtuch; eine Tüte mit Leckerlis zum Locken und/oder Belohnen; dasselbe nochmal für das Herrchen; einen Translator »Herrchen – Hund / Hund – Herrchen«; Spielzeug; einen Wasserspender für den Hund; eine Trinkflasche für den Menschen, Inhalt variabel (evtl. Bier, Wasser notfalls vom Vierbeiner schnorren); einen, nein, besser drei Kotbeutel; ein Handy (mit den eingespeicherten Nummern des örtlichen Tierarztes und der Bergretter); Pflaster inklusive Jodtinktur für kleinere Bisswunden. Nicht zu vergessen einen Stauschlauch zum Abbinden abgetrennter Gliedmaßen; einen Maulkorb sowie ein Fläschchen Riechsalz und so weiter und so weiter. Das Notwendigste eben. Was man als umsichtiges Herrchen halt so braucht.
Ich sitze gerade bei meiner zweiten Tasse Kaffee. „Jemand sollte mal mit dem Hund raus!“, ruft Seniorfrauchen aus dem Bad. Juniorfrauchen ist außerhäusig. Damit ist die Sache klar – es handelt sich nicht etwa um eine beiläufige Konversation, sondern vielmehr um eine unkaschierte, ausschließlich gegen meine Person gerichtete Aufforderung: Ich sollte mich zeitnah gassibereit machen! Allen Singles, die in diesen Dingen noch unerfahren sind, sei verraten: wer auch immer feststellt, dass „jemand“ dies oder das erledigen sollte, meint niemals sich selbst! In Schwaben ist das der „m’r“, ausgesprochen mit einem verschluckten Vokal in der Mitte. Klingt dann ungefähr so: „M’r sott au emol widr…“, also „jemand“ sollte mal wieder. Der M’r erledigt alles. Ist so. Woanders ist es der Jemand. Andere Bezeichnung, dasselbe Schicksal!
„Ella hat schon vor über einer Stunde gefressen und war heute noch nicht draußen!“ –
„Ja, und?“ –
„Na, das ist so, wie wenn man bei einer vollbeladenen B-52 den Bombenschacht aufmacht. Da kann’s dann in jeder Sekunde losgehen. Und ich sage dir, die Luftmine willst du nicht hier im Haus haben!“
Wohlwissend, dass sie mir in diesen Dingen über ist, versuche ich dennoch einen rethorischen Befreiungsgriff:
„Und wann willst du gehen?“ Ich kenne ihre Antwort bereits noch bevor ich sie höre: „Ich kann leider nicht, weil ich noch duschen muss. Und die Haare fönen. Und …“
Der „M’r“ hat verstanden: die Reihe ist an ihm! Morgenstund hat Kot im Hund! Wo denn die Leine sei? Da, wo sie immer ist, bekomme ich zur Antwort. Immer, ha! Der Hund ist noch keine zwei Wochen im Haus und meine Frau redet bereits von immer. Als ich seinerzeit nachfragte, wie oft man denn mit einem Hund Gassi gehen müsse, hieß es normalerweise zweimal am Tag. Normalerweise. Nun, wie sich herausstellte, besitze ich keinen normalen Hund. Ella ist eine Griechische Bracke (Greek Harehound). Das sind Jagdhunde! Gezüchtet, um angeschossenes Wild aufzuspüren. Schweißhunde halt. Die brauchen mehr Auslauf, also drei- bis viermal täglich. Allerdings war unsere Ella in Griechenland 24/7 im Freien und darum könnte ich mein gewohntes, einst behagliches Leben genauso gut gleich nach draußen verlegen. Wann immer ich meinen Hintern lüfte, – sagen wir mal, um den Kühlschrank zu besuchen oder das Klo – Ella steht da und will raus.

Und so trotte ich mehrmals am Tag gottergeben hinter Ella her – sie die schnüffelnde Spürnase wie ein Boden-Radar von einer Seite des Feldwegs zur anderen bewegend, einer unsichtbaren Fährte folgend, ich den Arm unangenehm lang ausgestreckt an der straff gespannten Leine ihr folgend. Mir fällt ein, dass ich drauf achten sollte, den „Leinenarm“ von Zeit zu Zeit zu wechseln, sonst würde ich vermutlich schon bald Jacken mit unterschiedlich langen Ärmeln benötigen. Dennoch finde ich, dass das Spazierengehen hinter Ella auch etwas Meditatives hat. Ich folge ihrem gleichförmig tänzelnden Hinterteil, die Rute hypnotisch wippend wie ein Pendel. So trotte ich gedankenverloren hinter ihr her. Die Welt entrückt immer mehr, ich setze meine Schritte wie in Trance und … trete beherzt in einen frischen Hundehaufen. Puh, wie das duftet! Wieder eine Lektion gelernt: Augen auf beim Hundelauf. Wie nerve ich meiner Tochter stets? Es vergeht kein Tag, an dem man nicht etwas dazulernt!
Ich versuche mittels Stöckchen und Grasbüscheln den gröbsten Dreck loszuwerden, aber der Duft bleibt. Selbst Ella verlangt nun die kompletten 10 Meter der Leine, um Raum zwischen mich und sich zu bringen. Memme! Sonst jeden Haufen beschnüffeln, aber jetzt die feine Dame spielen! Mit reichlich Verspätung erreicht die Flotille den Heimathafen. Frauchen erwartet uns bereits an der Türe, dem Hunde-GPS sei Dank. Auch so was! Seit der Hund einen Tracker am Geschirr hat, weiß die ganze Familie, wo der Hund sich gerade befindet. Inklusive Herrchen. Zu jeder Zeit!
„Puh!“, stellt Heike fest, was das denn für ein atemberaubendervDuft sei. Ich erkläre ihr den Sachverhalt. „Tja“, meint Frauchen im schönsten Schwäbisch, „des sott m’r gschwend sauber mache! Ond des am beschde em Garde!“ – Was der „M’r“ dann auch macht. Wer sonst? Geschwind!