Auf den Hund gekommen
„Oooh, ist die niiiiedlich!“ – Typisch, meine Tochter kann an keinem Hund vorbeigehen, ohne ihn niedlich zu finden. Oder süß. Oder beides.

Die Mischlingsdame, die mit wedelnder Rute um uns herumstreicht, – wie sich später herausstellt, handelt es sich bei der Hundelady tatsächlich sogar um eine reinrassige Griechische Bracke – bildet da keine Ausnahme. Ich schon weiß genau, was als nächstes kommen wird: „Können wir die nicht behalten?“
Das sechzehn Jahre währende Zusammenleben zahlt sich in Momenten wie diesem letztlich aus. Man kenn sich gegenseitig aus dem Eff-Eff und darum bin ich auf diese emotionale „Herz-Attacke“ nicht völlig unvorbereitet. „Die hat ein Halsband um“, bemerke ich erleichtert und hoffe, weitere Diskussionen mit diesem Einwand im Keim zu ersticken.
„Aber die läuft doch frei rum“, reklamiert Tochter umgehend. „Und eine Hundemarke trägt sie auch nicht!“
Damit hat sie zwar Recht, aber schließlich weilt man gerade in Griechenland, dem Land des fakelaki. Das ist ein kleiner, mit Währungspapier gefütteter Umschlag, der schnell und unbürokratisch so manches Problem beseitigt. Selbst bei permantem Ignorieren strengster Vorschriften kam und kommt man hierzulande verhältnismäßig unbehelligt durchs Leben. Zum Beispiel durch den pelleponesischen Straßenverkehr. Rote Ampeln, Parkverbote, Geschwindigkeitsbegrenzungen – all das gilt gemeinhin als unverbindliche Empfehlung. Und im schlimmsten aller Fälle, wenn alles Bitten und Betteln nichts fruchtet, dann zückt man eben das Portemonnaie – „Sie sind gerade über die durchgezogene Linie gefahren. Kostet 850 Euro!“ – „Soviel habe ich nicht, ich habe 4 Kinder und bin gerade arbeitslos!“ – „Also gut, dann eben 50 Euro!“ – „Ich habe aber nur 20 dabei.“ – „Meinetwegen, dann eben die zwanzig. Aber eine Quittung stelle ich dafür nicht extra aus!“
So läuft das nun mal, hier in Griechenland. Nicht ganz legal (gut, eigentlich gar nicht), aber vielleicht etwas menschlicher als zuhause. Womit wir wieder bei unserer Geschichte und besagter Bracke sind:
„Wenn sie keine Marke trägt, bezahlt der Besitzer sicher keine Hundesteuer und dann hat er auch keinen Anspruch auf den Hund!“
Sieh mal an, die Familie wurde soeben um eine angehende Juristin bereichert. Die spontane Fähigkeit meiner Tochter zu analytischem Denken erstaunt mich. Die Sache könnte ernster werde, als ich mir das zunächst vorgestellt habe.
„Wie stellst du dir das vor? Wir haben zuhause vier Katzen! Was meinst du, was da los wäre, wenn wir mit einem Hund ankommen! Der verjagt die doch glatt aus dem Haus!“
„Dafür gibt es doch Hundetrainer, damit SIE das nicht tut!“
„Und wie erklärst du den Katzen, dass der da, also gut, DIE da nur spielen will?“
„Katzentrainer. Wir engagieren einen Trainer für Hund & Katze! Das geht. Ich hab’s gegoogelt.“
Klar, meine Tochter kennt ihren Dad nun auch schon sechzehn Jahre und ist somit auch nicht ganz unvorbereitet. Die weiß genau, wie sie es anfangen muss, denke ich grimmig.
„Und wie willst du ihn mitnehmen? Der muss vorher bestimmt eine Zeit lang in Quarantäne. Der – ja ja, gut, SIE muss geimpft werden, dazu noch gechipt und obendrein vermutlich auch noch sterilisiert. Und der Flug, denk nur mal an den Flug! Hast du eine Ahnung, was das alles kostet? Ach ja, und dann die Folgekosten: Tierarztbesuche, Hundesteuer, Fressen, Leinen, Hundekorb. Und unsere Autos – die sind überhaupt nicht hundegeeignet! Gerade erst gekauft! Und wer geht mit dem Hund Gassi? Ich jedenfalls nicht! Und was ist mit Urlaub? Meinst du, wir können den Hund einfach so überall hin mitnehmen? Ha, da wirst du dich umsehen!“
So geht es ständig hin und her. Ella – so wird die Hundedame letzlich heißen und so nennen wir das Hundchen der Einfachheit halber auch ab sofort – Ella ist nicht sonderlich interessiert an unserer Diskussion. Sie lässt sich lieber von Senior-Frauchen in spe das Fell kraulen und knuddeln.
Eigentlich bin ich bereits in diesem Moment verraten und verkauft. Zwei weibliche Wesen (eigentlich sind es sogar derer fünf, wie ich später erfahren werde) und eine Hündin (ha, sechs!) haben sich gegen mich verschworen. Und so oft ich einwende, dass dieser Hund auf gar keinen Fall, gar nie nicht nie in unserem Heim Einzug halten wird, genauso oft sind da zwei seelentief braune Augen, die mich ruhig und vertrauensvoll ansehen. Ich mag Hunde, komme gut mit ihnen aus. Eigentlich liebe ich sie sogar, ich hatte mir immer einen Hund gewünscht. Oder ein Pony. Oder wenigstens doch einen Elefanten. Darüber bin ich erwachsen geworden und weiß, was es heißt die Verantwortung für ein Lebewesen zu tragen. Kinder wissen gottseidank nichts davon, für sie ist das einfacher. Ich hab dich lieb, alles andere ergibt sich schon irgendwie – so einfach ist das! Und eigentlich hat sie mit dieser Einstellung sogar recht. Wenn ihre Mutter und ich uns vorher alle elterlichen Sorgen und Nöte vorgestellt hätten, wären wir heute noch kinderlos. Gut, dass es nicht so ist – aber Hunde sind schließlich keine Kinder, die uns später, wenn wir alt und schwach sind, pflegen und versorgen werden! (Ha ha …)
Mein Entschluss steht fest: Ella wird ein Urlaubsflirt bleiben. Als hätte sie es geahnt, lässt sie sich in den letzten Urlaubstagen nicht mehr blicken. Aus den Augen aus dem Sinn – dachte ich. Hinter meinem Rücken allerdings waren die Verschwörer nicht untätig. Man muss wissen, dass außer meiner Tochter sich noch vier innig verbundene Schulkameradinnen gegen mich verschworen hatten. Wer schon mal von den „Wilden Hühnern“ gehört hat, kann sich ein Bild davon machen, wie effektiv und konsequent eine erwachsen gewordene Mädchen-Gäng zu Werke geht. Hier muss ich etwas ausholen – im Telegrammstil: Vier Wei… ahem … vier Frauen, Schulkameradinnen fürs Leben: eine lebt in Griechenland auf der Insel Euböa, die anderen drei in gegenseitiger Rufweite im Schwäbischen. Szenenwechsel – ein griechisches Landhaus am Meer mit privater Bucht: die drei von hier machen nacheinander dort Urlaub, inklusive Familien. Die ausgewanderte Exil-Schwäbin füttert den Hund an, die zweite lässt Mann und Tochter in die Emotions-Falle tappen, die dritte kümmert sich um den Papierkram, die vierte fliegt das Hundchen aus. Alles klar soweit?
Als Ella auf dem Stuttgarter Flughafen ankommt, darf sie endlich wieder raus aus der engen Kiste. Keine 30 Grad mehr, keine Meeresbrise, stattdessen Hektik, schlechtes Wetter und eine fremde Sprache, in der jeder zweite Satz mit „woisch“ endet – der schiere Kulturschock! Und dann geht der wohl ausgeklügelte Plan baden: alle zugesagten Anlaufstellen, welche die Aktion einst mit viel Optimismus befeuerten, lassen die Rollos runter. Ella ist nun heimatlos, letzte Ausfahrt Tierheim. Diese Vorstellung macht selbst den hartgesottensten Gegner mürbe:
„Ihr raubt einem Tier die Freiheit, die gewohnte Umgebung und dann soll es allen Ernstes in ein Heim!?“
Das kann ich nicht zulassen, niemals darf meiner Ella ein solch himmelschreiendes Unrecht widerfahren! Nach nur kurzem inneren Kampf schmilzt mein letzer Widerstand gegen die Verschwörer wie Butter in der heißen Pfanne. Frauchen schaut mich selig an: „Du hasch halt e woichs Herz!“
Am nächsten Tag zieht das neue Familienmitglied ein. Vier Katzen und ein Hund – eigentlich ein guter Titel für einen Roman, oder?